Als Karl mir die Tür öffnete, bemerkte ich sofort, dass er, sozusagen über Nacht, ein völlig anderer geworden war.
Karl ist der Hausmeister, der Wachmann und die gute Seele des Gebäudes, in dem „Lichtenberg“ probt.
Ohne Karl geht hier gar nichts, die historischen Toiletten lassen sich ohne Karls regelmäßige Wartung nicht abspülen, ohne Karl gibt die Heizung keinerlei Wärme ab und die Stromversorgung ist ohne ihn nicht zu gewährleisten.
Früher, damals gab es die Band noch nicht, bewohnte er seine Souterrain-Dienstwohnung zusammen mit seiner Mutter. Sie umsorgte ihn so vollständig, versorgte ihn mit Essen, nähte oder strickte ihm Kleidung und war stets bemüht, ihn auf dem rechten Weg zu halten, sodass viele verwundert waren, dass er nach ihrem Tod überhaupt zurecht kam.
Kenner Karls berichteten, dass er nach dem Ableben seiner Frau Mutter zunächst deren nicht zu unterschätzenden Vorrat an Eingekochtem aufzehrte, bevor er sich schlussendlich und notgedrungen selbst der Beschaffung und Zubereitung von Lebensmitteln widmete.
Man versicherte mir glaubhaft, er habe am Ende dieser Zeit acht Monate ausschließlich eingekochte Zwetschgen gegessen,
die es, was für etwas Abwechselung sorgte,in zwei Varianten
gab, nämlich entsteint, mit hübsch zackigem Rand, von der Urheberin als Kuchenbelag gedacht und mit Stein, also im Normalzustand für sonstige Zwecke.
Analog dazu seine Kleidung. Die Jahre ohne Mutter waren seinem Outfit deutlich anzusehen, die fadenscheinigen Gewänder wurden immer dünner, immer fleckiger. Weil die Kleidung langsam verfiel verwandelte sich Karl zusehends aber unbemerkt in so etwas wie eine Vogelscheuche.
So ist mein Erstaunen zu erklären, als er mir völlig neu gewandet die Tür öffnete. Er strahlte so viel Stolz aus, er hatte ein grundlegendes Problem gelöst und sich endlich vollständig abgenabelt. Er hatte neue Kleider!
Den Kopf merklich erhobener als sonst, in einer knielangen quergestreiften Strickjacke, die an ihrem unteren Ende den Blick auf eine schwarze, eng anliegende, jedoch nur knapp unter das Knie reichende, kunstseidene Jogginghose freigab, stand er vor mir.
„Karl“ rief ich, „ist bei dir der Wohlstand ausgebrochen?“.
Nach oben blickend antwortete er: „Ach deshalb...“, und strich mit beiden Händen an sich herab, „..ich musste mich neu ausstatten, ich bin in diesem Haus ja so was wie die Visitenkarte, ich öffne die Tür, mich sieht man zuerst!“.
Fast schon wirkte er arrogant, aber wer ihn kennt, weiß dass er nur seinen Fortschritt genießt.
„Woher hast du die Klamotten?“ fragte ich. „Sie wissen doch, dass mir der Herr Lichtenberg diesen Laptop gegeben hat, damit ich im Internet unseren Stromverbrauch, die Zahl auf dem Zähler melden kann, weil das den Strom billig macht und ich seh´ jetzt den Plan, wann wer kommt – das ist jetzt so, ohne Computer geht’s nicht mehr. Der Herr Lichtenberg hat mir dann auch gezeigt wie ich für mein Geld Sachen bestellen kann, bei Emmasen, und das mach ich jetzt.“ antwortete er. Ich war kurz davor ihn zu fragen, ob es diese Sachen auch in seiner Größe gäbe, jedoch kam er mir zuvor: „Herr Lichtenberg sagt, er bringt mir bald einen Drucker, dann kann ich den Zettel zum zurück schicken drucken und muss die Sachen, die zu groß oder zu klein sind nicht mehr behalten.“
Ich musste unweigerlich an Judith denken, die früher unten im Dorf einen kleinen Laden mit Kleidern hatte aber aufgeben musste, als dann alle im Internet bestellten. Sie hätte bestimmt etwas in Karls Größe gehabt, und die Style-Beratung gab es bei ihr sowieso gratis dazu.
Die Grundakkorde des Stücks sind C und A sowie H und em.