Lichtenbergs Musik



Wir, also Edvard und ich, hatten mit unseren Gefährtinnen einen Ausflug am ersten Mai unternommen, der dieses Jahr auf einen Donnerstag fiel. Wir hatten, für das verlängertes Wochenende, ein Ferienhaus an einem einsamen Bauernhof im Burgund gemietet. Erholung war angesagt, die Wochen zuvor waren sehr anstrengend.

Nachdem wir unsere Zimmer bezogen hatten, servierte Astrid, Edvards neue Freundin, auf der Terrasse einen vorzüglichen Crémant de Bourgogne. Als die erste Flasche geleert war, schüttelte sie eine weitere, sozusagen  aus dem Ärmel.

Der frühe Genuss führte zwangsläufig dazu, dass wir den Rest des Tages abgesehen von einer „heure du berger“ kaum etwas taten. Am Abend wurde kompliziert gekocht und genussvoll gegessen.

Spätestens am nächsten Morgen, als ich gut ausgeschlafen und schlecht rasiert nach einem ausführlichen, charcuterielastigem Frühstück ein wenig die Umgebung erkundete fiel mir Edvards  Unruhe auf. Wie ein neurotischer Tiger im Zoo, der sich als wildes Tier niemals an die Maße seines engen Käfigs gewöhnend, hinter den Gittern, immer den gleichen Weg benutzend, auf und ab geht, lief er zwischen Bauernhof und Ferienhaus hin und her. Er machte das Gesicht eines Getriebenen, so bemerkte ich, dass ihm seine innere Unruhe gerade jede Erholung verweigerte.

Er war schon immer jemand, der die Stunden füllen musste, der immer etwas werkelte.

Heute, dreißig Jahre später ist er ruhiger geworden, in der Musik hat er seine Medizin gefunden.


Plötzlich war er verschwunden. Mein Auto war weg, was führte er im Schilde?

Damals hätten wir nie gefragt, ob wir uns das Auto leihen dürfen, es war eine tiefe Freundschaft, obwohl wir sehr unterschiedlich waren. Wir habe alles geteilt, manchmal sogar......Nein, das ist eine ganz andere Geschichte.


Gegen zwei, wir wollten gerade unser verspätetes Mittagessen auf den Grill legen, kam er zurück, nahm ein paar Kartons aus dem dem Kofferraum und es war nicht zu übersehen: er war jetzt viel ausgeglichener.

Er hatte Pläne.

Nachdem er die Vorspeise ungeduldig gegessen hatte stand er auf und kündigte an: „Eine Taube macht noch keinen Sommer, aber sie war lecker, mein Dank dem Koch, excuse-moi, ich habe zu tun.“ und trat ab.

Nachdem ich meine Taube und ein paar Côtelette d'Agneau genüsslich verspeist, ein wenig Käse genossen hatte,  schlenderte ich rüber zum Hof, wohin Edvard samt meinem Austin verschwunden war. Nach kurzem Suchen, fand ich ihn vor einer Werkstatt , die an den Ziegenstall anschloss,  an meinem Auto schraubend und bestens gelaunt vor.

„Ich glaube gerade nicht, was ich sehe!“  sagte ich missbilligend zu ihm. „Wir kommen zum erholen, wollen mal Ruhe, gut essen, nett plaudern, aber Monsieur zerlegt meine Karre.“

„Unfug“ konterte er, „Du hast gar keine Ahnung von Autos, hörst du denn nicht, wie sehr dich der Wagen um neue Bremsbeläge bittet? Danach schreit? Bei jeder Bremsung?“

Am Abend war es recht kühl, und Edvard konnte sich mit der Versorgung des offenen Kamins ablenken, seinen Schaffensdrang kanalisieren.


Samstag früh hatte er wieder Hummeln im Hintern.

Ich spazierte mit Sandra, meiner damaligen Freundin,

ein wenig, über Oralsex philosophierend, talauswärts,

als er sich mit dem Auto näherte. „Kommt mit, wir

machen eine Probefahrt.“ rief er uns zu. Sandra wollte

lieber in sich kehren, und so fuhr ich dann mit Edvard

alleine.

Als liessen sich die neuen Bremsen nur so testen, fuhr

er wie ein Irrer und schnitt die Kurven der engen Straße. Kurz bevor wir das Dorf erreichten kam uns nach einer scharfen Linkskurve ein alter Mann mit einer Handkarre entgegen. Ihm ausweichend machte Edvard eine Vollbremsung, meine britische Schönheit durchbrach den Stacheldrahtzaun und wir rollten auf eine Wiese, die steil zu einem Bächlein herabführte. Edvard lenkte wild hin und her, aber die Räder griffen nicht im feuchten Gras. Fast hatten wir das kleine Gewässer erreicht kippte der hübsche Wagen, gefühlt in Zeitlupe, um und kam im Wasser, auf dem Dach zum liegen.

Da hingen wir nun in unseren Gurten, hatten uns glücklicher Weise nichts getan und verließen durch eine zerbrochene Scheibe das Vehikel. „Ich habe deinen Wagen zerstört“ sagte er angesichts der Bescherung. „Ich weiß“ antwortete ich gefasst.

Nun mussten wir wohl oder übel den Rückweg zum Hof auf Schusters Rappen antreten.

„Idiot“ schimpfte Edvard als er den ersten Schock überwunden hatte, „wieso hast Du keine Kippen dabei?“ „Weil ich nicht rauche“ entgegnete ich in leicht fragendem Ton. „Das sind noch locker fünf Kilometer“ befürchtete er, „acht“ wusste ich zu berichtigen.

Dann gingen wir wieder eine Weile schweigend. „Mensch ist dass heiß“ meckerte er, die Stille durchbrechend. „Ja, der Mai ist gekommem!“ bemerkte ich. „Blöde, spritfressende, verrostete, ölspuckende englische Mistkarre“ fluchte er. „Hey,“ sagte ich, „reg dich ab, du hast mir das Ding für 200 Mark besorgt, was solls also, keine Katastrophe, lass uns jetzt die Natur, den schönen Tag genießen. Es ist Mai, der Sommer kommt.........“ „Ohne Kippen acht Kilometer....“ nörgelte er weiter. Zwar hatte er, vermutlich, weil das Ding nur auf einer Seite bremste, tatsächlich meinen Wagen zerstört, aber während ich mich gelassen gab, waren von ihm nur Geschimpfe und Gekeife zu vernehmen.

Zwei Kilometer später kam aus Richtung Dorf ein Traktor gefahren.

Am Lenkrad eine wirklich aufregende und schöne Frau. Das gibt es

nur im Film, oder in Frankreich, dass sich eine Frau für

landwirtschaftliche Tätigkeiten derart hübsch zurecht macht.

Bei Edvart wollte sich keine Begeisterung einstellen, auch nicht,

als die schöne Frau ihr Gefährt stoppte und uns mit einer Geste

zum mitfahren einlud. Wo wir hin wollten war klar, denn die Straße

führte ja nur zu diesem einen Hof, und so stellten wir uns in

Ermangelung einer Sitzgelegenheit auf die Ackerschiene, an die

gewöhnlich diverse Gerätschaften montiert wurden.

Edvards Gesicht war immer noch grimmig, mich begeisterte hingegen unsere Chauffeuse.

Um ihn etwas aufzubauen und ihn an meinem Vergnügen teilhaben zu lassen, rief ich ihm, gegen den Lärm unseres fahrbaren Untersatzes ankämpfend zu: „Edvard, vergiss jetzt mal die Karre, schau dir diese Göttin an, schau auf dieses Kunstwerk. Edvart! Hier ist der Mai! Hier ist die Frau!“

Ich machte ihn, der den Kopf noch gesenkt hielt, mit einer Geste, auf ihren bezaubernden Po aufmerksam, der vom eisernen Sitz des antiquierten Fahrzeugs heftig hin und her geschleudert wurde und für mich eine Augenweide darstellte. „Der Mai“ schrie er zurück, „Der Mai ist zum kotzen!“

Als wir am Hof angekommen waren liefen uns zwei Kinder entgegen, die unserer schönen Fahrerin in leicht schwäbisch angehauchtem, aber klarem Deutsch zuriefen: „Hallo Tanja, wo warst du nur so lange?.............“

„Ja,“ dachte ich, ob meiner Bemerkungen während der Fahrt, mich über meine Leichtsinngkeit ärgernd, 

„Der Mai ist echt zum kotzen.“

Ihr lächelnder Blick zum Abschied aber, versöhnte mich wieder mit diesem, nach einer römischen, nicht einer schwäbischen Göttin, benannten Monat.

Max Herrmann-Neiße

Max Herrmann-Neiße

NEUES MAILIED

(ZUM MITSINGEN)


1

Der Mai ist zum Kotzen,

am Tag ist er zu heiß:

als wollte er protzen,

bringt er uns in Schweiß.

Sinkt der Abend hernieder,

friert man in seinem dünnen Rock

und sehnt sich schon wieder

nach Heizung und Grog.


2

Der Mai ist zum Speien,

die Bowlen schlagen aus.

Du latschest im Freien

und kehrst kaputt nach Haus,

hast zerrissene Sohlen,

im Bauche eine Wut

und was man sonst noch holen

sich im Mailüfterl tut.

3

Der Mai ist für Narren

ein Bluff und ein Trick,

die Dummen erharren

im Mai sich das Glück.

Der Geizhals spielt Genießer,

die Pärchen werden wild.

Die ältesten Spießer

stelln ein kitschiges Bild.


4

Der Mai macht sich mausig,

ein richtger Ramschbasar.

Es tut, ach, herztausig

das dümmste Dromedar.

Das Maiblumengelbe,

der Stempel weißer Saft:

s’ ist jedes Jahr dasselbe

und nicht sehr dauerhaft.

5

Das ist noch das Beste,

daß bald zerplatzt die Poesie;

die schäbigen Reste

verbraucht die Ansichtskarten-Industrie.

Die Pärchen dort glotzen

noch fort mit koloriertem Angesicht.

Der Mai ist zum Kotzen!

Doch was, was ist es nicht?


Max Herrmann-Neiße  1886-1941